HomepageDas Gen Z LabDie Umkehr des Machtgefälles: Der Arbeitgeber- ist zum Arbeitnehmer:innen-Markt geworden – Alice Greschkow im Interview

Die Umkehr des Machtgefälles: Der Arbeitgeber- ist zum Arbeitnehmer:innen-Markt geworden – Alice Greschkow im Interview

  • Dienstag, 12. Juli 2022
  • Svenja Rausch

Die eingespielten Strukturen und Spielregeln des Arbeitsmarkts verändern sich im Zuge des branchenübergreifenden Fachkräftemangels gravierend.

Alice Greschkow Portraitfoto

Die eingespielten Strukturen und Spielregeln des Arbeitsmarkts verändern sich im Zuge des branchenübergreifenden Fachkräftemangels gravierend. Wo Arbeitgeber bis vor kurzem noch allein entscheiden konnten, welche Bewerber:innen am besten zu ihrem Unternehmen passen, entscheidet längst die andere Seite mit. Wieso Unternehmen angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels umdenken müssen, erzählt uns Alice Greschkow in unserer Interviewreihe „HR Expert:innen“.


Hallo Alice. Stell dich doch bitte einmal selbst kurz vor und erzähl unseren Leser:innen etwas mehr über dich. Was sind deine Themen und Schwerpunkte?

Mein Name ist Alice Greschkow. Ich habe in Münster, Madrid, Breslau und Roskilde studiert und bewege mich seit 2015 beruflich an der Schnittstelle zwischen Politik, Kommunikation und Unternehmenspraxis. Mein großes Thema ist die „Transformation der Arbeitswelt“. Fachkräftemangel, Diversität und „gute Arbeit“ sind Themen, die die meisten Menschen betreffen – daher betrachte ich sie sowohl durch eine Politikbrille als auch mit der Unternehmenserfahrung, die ich in den letzten Jahren sammeln durfte. Gegenwärtig beschäftige ich mich als Projektmanagerin mit dem Effekt von Künstlicher Intelligenz auf Arbeit. In den vergangenen Jahren habe ich viel dazu geschrieben – insbesondere auf LinkedIn, was mir Ende 2020 auch den Titel „LinkedIn Top Voice“ einbrachte. 

Das ist ja wirklich eine enorme Bandbreite, innerhalb der du dich bewegst. Dann kommen wir direkt mal zu deinem großen Schwerpunktthema „Transformation der Arbeitswelt“: Wo siehst du die größten Unterschiede zwischen der Gen Z und vorherigen Generationen, die bereits seit Jahrzehnten mit beiden Beinen im Berufsleben stehen? Wie unterscheiden sich deren Wünsche an Arbeitgeber?

Die älteren Beschäftigten sind in einer Zeit aufgewachsen, in der es eine Errungenschaft gewesen ist, eine lineare Karriere zu erreichen. Die jahrzehntelange Beschäftigung im selben Betrieb ist für viele die Norm gewesen – damit gingen auch Gehaltsentwicklungen einher. Themen wie der inzwischen wichtige, neudeutsche „Purpose“ spielten eine untergeordnete Rolle.
Bei den jüngeren Menschen sind die Erwartungen an einen Beruf sehr viel individualisierter: Immer mehr junge Familien fordern eine stärkere Work-Life-Balance, andere hingegen suchen nach zeitlich und räumlich flexiblen Arbeitsmodellen. Das heißt allerdings nicht, dass diese Generation keine Karriere machen will – es gibt genug Beschäftigte aus der Gen Z oder Gen Y, die auf Sicherheit und ein hohes Gehalt Wert legen –, doch sie wollen bei den Spielregeln mitsprechen. 

Super Stichwort: Spielregeln. In Zukunft wird die Gen Z einen Großteil der Arbeitnehmer:innen ausmachen. Wie sollte sich das Recruiting dafür deiner Meinung nach verändern, um diese jungen Talente anzusprechen? Wie verändern sich die Spielregeln in diesem Kontext?

Die Gen Z ist mit Floskeln im digitalen Raum aufgewachsen und hat einen sehr guten Riecher dafür, was Bullsh*t-Bingo und was authentische Kommunikation im Recruiting ist. Es ist also wichtig, klar zu kommunizieren. Was im Recruiting zunehmend relevant wird: Der Fachkräftemangel führt dazu, dass es ein Arbeitnehmer:innen-Markt wird. Das heißt, dass der Bedarf nach Fachkräften größer ist als der Pool der Suchenden. Dies verändert das Machtgefälle. Unternehmen müssen sich deshalb nicht nur überlegen, wie sie junge Fachkräfte gewinnen, sondern auch, wie sie sie halten. Denn: Fehlende Digitalisierungsprozesse, unklare Strukturen und ein veraltetes und zu hierarchisches Verständnis von Arbeit werden junge Menschen abschrecken. 

Die Digitalisierung geht seit Jahren mit großen Schritten voran und macht auch vor HR und Recruiting keinen Halt. Während der Pandemie wurde die Kür dort zur Pflicht. Dein Thema ist ja unter anderem KI, also künstliche Intelligenz. Wo stehen Unternehmen deiner Meinung nach derzeit? Welche Rolle spielt KI in der Zukunft des Recruitings?

Unternehmen haben begriffen, dass der digitale Fortschritt essenziell für ihr Überleben ist. Digitalisierung verändert alle relevanten Bereiche – vom Geschäftsmodell, über die Marketingstrategie bis hin zum Recruiting. Es gibt insbesondere in den USA mittlerweile viele digitale Lösungen, die bei der Optimierung von Stellenausschreibungen helfen oder Bewerber:innen automatisiert aussortieren, bevor sie je ein:e Recruiter:in gesehen hat. Einige Unternehmen nutzen sogar KI-gestützte Interview-Software, die anhand von Tonalität, Mimik und Wortwahl den Charakter eines Menschen einschätzt.
In Deutschland gibt es im Bereich Recruiting vergleichsweise wenig Anwendung. Dies ist allerdings nicht per se schlimm. Künstliche Intelligenz ist ein Instrument, das Unternehmen für sich nutzen können, doch aufgrund schwacher Daten neigen manche KI-Lösungen dazu, bestimmte Gruppen zu bevorzugen. Sie reproduzieren nämlich die Vergangenheit auf Grundlage der Daten, die sie für das Lernen genutzt haben. Damit wird die diversitätssensible Personalarbeit vor neuen Herausforderungen gestellt. Personalverantwortliche müssen dies auf dem Schirm haben!

Stimmt. In unserem aktuellen Karrierebarometer haben wir gerade erst wieder feststellen können, dass Themen wie Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion einen riesigen Stellenwert für die Gen Z haben. Welche weiteren Trends siehst du allgemein im HR-Bereich? Wo müssen Personaler:innen reagieren?

Corona hat den Megatrend bestimmt: flexible Arbeitsmodelle. Das heißt nicht, dass alle in Vollzeit im Homeoffice arbeiten müssen. Vielmehr geht es darum, dass Menschen in den vergangenen zwei Jahren gesehen haben, wie viel Zeitersparnis sie haben, wenn Pendelwege wegfallen. Flexible Arbeitsmodelle erlauben es Familien, Sorgearbeit im Alltag leichter gerecht zu werden.
Im HR-Bereich wird die größte Herausforderung darin bestehen, flexible und individualisierte Arbeitsmodelle zu gestalten – sowohl was die räumliche Dimension betrifft als auch die zeitliche. Es wird weiterhin Menschen geben, die Vollzeit im Büro arbeiten möchten, andere werden nur gelegentlich vor Ort sein wollen. Auch die Frage, ob es immer Vollzeit sein muss, wird sich stellen. Es gibt genug Gründe, weniger Stunden zu arbeiten. Sorgearbeit, die eigene Gesundheit oder das Interesse an anderen Aktivitäten im Leben zählen dazu. Sowohl junge als auch ältere Beschäftigte profitieren von mehr Flexibilität. 

Die Zukunft der Arbeit ist also nicht nur flexibel, sondern auch besonders vielfältig und erfordert daher im besten Fall individuelle Lösungen für jede:n Einzelne:n. Eine letzte Frage, vor allem in Hinblick auf die Young Talents, die zukünftig den Arbeitsmarkt dominieren werden: Was glaubst du, sollten Personaler:innen beachten, wenn sie Talente der Gen Z rekrutieren?

Bietet faire Gehälter an – die Gen Z hat bei den Millennials gesehen, dass unbezahlte Praktika und Einstiegsjobs auf Mindestlohnniveau keine Miete zahlen. Und: Vertraut auf die Fähigkeiten junger Menschen. Sie haben oft ein gutes Gefühl für den Zeitgeist und sprudeln vor Ideen, um Arbeitsabläufe besser zu gestalten. Respekt ist das A und O!

Dem können wir uns nur anschließen. Vielen Dank für das Interview und deine spannenden Antworten, Alice!


Über HR Expert:innen
In regelmäßigen Abständen interviewen wir Top Expert:innen zum Thema HR, Recruiting und Employer Branding für die junge Generation. Dabei sind Journalist:innen, Blogger:innen, Podcaster:innen und Influencer:innen, die Personaler:innen für das Recruiting der Gen Z auf jeden Fall kennen sollten.