HomepageDas Gen Z LabWeshalb mehr Tech im HR-Bereich zu mehr Menschlichkeit im Recruiting führen kann – Jo Diercks im Interview

Weshalb mehr Tech im HR-Bereich zu mehr Menschlichkeit im Recruiting führen kann – Jo Diercks im Interview

  • Dienstag, 22. Februar 2022
  • Svenja Rausch

Wie HR-Tech dem Recruiting wieder zu mehr Menschlichkeit verhelfen kann, erzählt Jo Diercks in unserer Interviewreihe “HR Expert:innen”.

Joachim Diercks Portrait

Der Recruiting-Markt verändert sich zunehmend. Das liegt nicht zuletzt an den sich stetig wandelnden Werten der nachfolgenden Generationen. Warum die Relevanz vergangenheitsorientierter Bewerbermerkmale bei der Personalgewinnung an Bedeutung verliert und wie HR-Tech dem Recruiting wieder zu mehr Menschlichkeit verhelfen kann, erzählt Jo Diercks in unserer Interviewreihe “HR Expert:innen”.


Hallo Jo, super, dass du Zeit gefunden hast, ein wenig mit uns über dich und dein Tun zu sprechen. Deinen Blog “Recrutainment” finden wir klasse und sind damit sicher nicht die Einzigen. Für die, die dich aber noch nicht kennen: Könntest du dich und den Blog zu Beginn einmal vorstellen?

Jo Diercks: Gern. Mein Name ist Joachim Diercks, auch wenn mich die meisten einfach „Jo“ nennen. Ich bin einer von zwei Geschäftsführern von CYQUEST und habe das Unternehmen vor nunmehr rund 22 Jahren mitgegründet. CYQUEST ist heute einer der führenden Anbieter von Online-Assessment- und Matching-Lösungen im DACH-Raum. Hier betreuen wir rund 150 namhafte Kunden wie Airbus, Allianz, Deutsche Telekom, DPDHL oder EON. Vor fast 15 Jahren habe ich begonnen, den Recrutainment Blog zu betreiben. Dieser hat thematisch natürlich viel mit dem zu tun, womit wir uns auch bei CYQUEST beschäftigen. Aber trotzdem ist der Recrutainment Blog eigentlich keine Business-Aktivität, sondern nach wie vor eher eine persönliche Leidenschaft von mir. Hier nehme ich mir raus, meine eigenen Gedanken und Sichtweisen rund um Fragen der Personalgewinnung zu formulieren. Trotzdem, oder vielleicht auch deshalb, hat sich der Blog mit rund 15.000 bis 20.000 Leser:innen pro Monat doch zu einem recht reichweitenstarken HR-Kanal entwickelt.

Eine beachtliche Zahl! 15 Jahre sind auch schon eine verdammt lange Zeit, da bist du ja quasi HR-Blogger-Urgestein. Wo genau siehst du den Schwerpunkt des Blogs thematisch?

Jo Diercks: Die ganz große inhaltliche Klammer der Blogs lässt sich sicher mit „Personalgewinnung“ überschreiben. Wobei wir uns hier doch recht stark auf die Frage konzentrieren, wie technologische Entwicklungen die Personalgewinnung beeinflussen und prägen. Der Recrutainment Blog ist also sowohl ein HR- als auch ein Tech-Blog, denn es geht auch viel um Algorithmen und künstliche Intelligenz. Natürlich finden dort auch Themen statt, mit denen CYQUEST sein Geld verdient, beispielsweise Auswahltests, Matching-Tools, Berufsorientierung, Cultural Fit oder die Verbindung von Recruiting und Gamification. Aber das Bloggen bringt (und vielleicht auch zwingt? 😉) einen auch immer wieder dazu, den Blick deutlich über den eigenen Tellerrand hinaus schweifen zu lassen. Wir bringen zum Beispiel immer mal wieder Case Studies über die spannenden Projekte, die uns im Markt über den Weg laufen, exklusive Interviews mit den Macher:innen der Szene, Veranstaltungstipps und natürlich die mal amüsanten, mal nachdenklichen und auch mal befremdlichen “Fundstücke”. Wir versuchen auf jeden Fall immer am Puls des Geschehens zu sein; manchmal dem sogar ein wenig voraus.

HR-Tech halten auch wir persönlich natürlich für ein extrem spannendes Thema. Ihr deckt mit dem Blog also ein breites, interessantes Themenspektrum ab. Aber was genau zeichnet “Recrutainment” in deinen Augen speziell aus? Worin unterscheidet sich euer Blog von anderen Blogs der HR-Welt?

Jo Diercks: Nun, zum einen denke ich, dass wir an den Themen, über die wir im Blog schreiben, wirklich sehr dicht dran sind. Wir entwickeln ja selbst HR-Technologie, sodass ich glaube sagen zu können, dass wir einen echten Insider-Blick auf die Entwicklungen im Markt haben und auch hinter das meiste Bullshit-Bingo schauen können. Und zum anderen, hoffe ich, merkt man dem Recrutainment Blog die persönliche Leidenschaft für die Themen an. Der Blog ist ja kein „Business“ für uns, sondern unsere Plattform, über die wir die Marktentwicklungen begleiten und selbst den einen oder anderen inhaltlichen Impuls senden. Über die knapp 15 Jahre, die es den Blog nun gibt, sind inzwischen fast 1.350 Artikel erschienen. Davon habe ich deutlich über 1.000 eigenhändig verfasst. Das geht nur, wenn man wirklich für die Themen brennt. 

 Das stimmt. Dass du Feuer und Flamme für deine Themen und den Blog im Generellen bist, liest sich allein in den Beiträgen deutlich heraus. Wie du selbst gerade schon erwähnt hast: Der HR-Markt entwickelt sich stetig weiter. Deshalb unsere Frage: Welche Trends beobachtest du im HR-Bereich allgemein und wo siehst du Reaktionsbedarf aufseiten der HRler:innen? 

Jo Diercks:  Ich würde mich bei meiner Antwort vor allem auf die Themen der Personalgewinnung beschränken, also alles rund um Personalmarketing, Employer Branding und Recruiting. Hier sehe ich verschiedene „lange Linien“: Zum einen erleben wir eine starke Machtverschiebung weg von den Unternehmen hin zu den Bewerbenden. Das hat zur Folge, dass die Bedeutung der (beruflichen) Orientierung und Selbstselektion deutlich zunimmt. Auch wird die Frage der „Passung“, also kulturell und wertemäßig, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer:innen wichtiger, als sie es ohnehin schon war. Für nachwachsenden Zielgruppen ist dieser Aspekt viel relevanter UND sie haben auch die Verhandlungsmacht, diese Dinge einzufordern. 

Ebenfalls sehr wichtig, und das beobachte ich auch aus der Warte des Eignungsdiagnostikers, ist, dass die Bedeutung vergangenheitsorientierter Bewerbermerkmale, also Dinge, die in Lebenslauf und Zeugnissen stehen, bei der Personalauswahl an Bedeutung verlieren. Das liegt daran, dass sie immer weniger zur Vorhersage zukünftigen beruflichen Erfolgs taugen. Im Gegenzug nehmen die Bedeutung der Passung – siehe oben – und vor allem des „Potenzials“ zu. Es geht also viel weniger um die Frage, was jemand kann, sondern darum, was jemand „können kann“. Folglich verändert sich die Personalauswahl insgesamt auch sehr stark in Richtung „gegenseitiger Bewertung von Passung und Potenzial“. 

Und schließlich natürlich ist auch die Personalgewinnung stark von technologischen Entwicklungen betroffen: Algorithmen, KI, automatisierte Matching- und Assessment-Tools werden alltäglicher Begleiter beim Zueinanderfinden von Unternehmen und Kandidat:in werden. Meine Hoffnung hierbei: Wenn uns sinnvolle Tech-Tools von lästigen Routinen befreien, dann könnte die freiwerdende Zeit wieder mehr in den Mensch-Mensch-Kontakt investiert werden. So überraschend es zunächst klingen mag: Vielleicht führt mehr Tech wieder zu mehr Menschlichkeit im Recruiting.

Durchaus eine spannende These. Den Wunsch dahinter unterstützen wir aus ganzem Herzen. Da in Zukunft die Generation Z einen Großteil der Bewerber:innen und Arbeitnehmer:innen ausmachen wird, würden wir gern abschließend von dir wissen, wie sich das Recruiting deiner Meinung nach verändern muss, um die jungen Talente gezielt anzusprechen?

Jo Diercks: Nun, das Recruiting der Unternehmen wird gar nicht darum herumkommen, als viel stärker als bisher auf die Kandidat:innen einzugehen. Das heißt vor allem personalisierte Kommunikation, Hilfestellungen zur besseren Selbstselektion, individuellere Angebote in Bezug auf Jobzuschnitt, -aufgaben und Arbeitsbedingungen. In die Personalgewinnung gehört viel mehr „Augenhöhe“ als früher.

Vielen Dank für das Interview und deine spannenden Antworten, Jo!

 

Über HR Expert:innen

In regelmäßigen Abständen interviewen wir Top Expert:innen zum Thema HR, Recruiting und Employer Branding für die junge Generation. Dabei sind Journalist:innen, Blogger:innen, Podcaster:innen und Influencer:innen, die Personaler:innen für das Recruiting der Gen Z auf jeden Fall kennen sollten.